Erinnerungskultur ist wichtig – und Aufarbeitung endet nie. Das erklärte am Sonntag Axel Holz, der Bundessprecher der VVn-BdA. Im Rosengarten hatten sich knapp 100 Hansestädter eingefunden, um am dafür aufgestellten Denkmal an die Opfer des Faschismus zu erinnern. Und das wie in jedem Jahr am zweiten Sonntag im September. Neben Mitgliedern der Parteien Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen war auch Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück (Linke) anwesend.
Holz wünschte sich nicht nur von den Anwesenden aktives Gedenken. „Die Aufarbeitung des Faschismus muss eine Fortsetzung finden. Die Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen, mit Nationalismus und Demokratiefeindlichkeit ist aktueller denn je“, erklärte Holz.
Diskriminierende Einstellungen würden gerade in der heutigen Zeit wieder zu- und Hemmschwellen abnehmen. Problematisch sei dabei vor allem der Schulterschluss zwischen Menschen, die Angst vor Corona haben oder mit den Vorgaben der Regierung nicht einverstanden sind, mit Verschwörungstheoretikern und Neonazis. Damit spielte Axel Holz vor allem auf die Mischung der Teilnehmer großer Anti-Corona-Demonstrationen an. „Dieses Verhalten wertet demokratiegefährdende Positionen auf“, erklärte er.
Mit der Veranstaltung im Rosengarten wurde am Sonntag auch noch einmal an den Tag der Befreiung erinnert. Das öffentliche Gedenken am 8. Mai war in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie weitgehend ausgefallen oder nur eingeschränkt möglich.
Im Folgenden findet Ihr die Rede von Axel Holz (ohne frei ergänzte Kommentare):
Gern überbringe ich Euch heute anlässlich des 75. Jahres der Befreiung die Grüße des Vorsitzende der Russischen Union der Veteranen, Armeegeneral Michail Moisejew:
„Liebe antifaschistische Freunde„, schreibt er, „heute feiert die ganze Welt das historische Datum – den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Eure Großväter und Väter trugen zur Niederlage von Faschisten und japanischen Militaristen bei. Ihr, die Erben und Nachfolger, kämpft für den Frieden in der Welt. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
Im Namen der russischen Veteranen, Moskau, den 2. September 2020.“
In diesem Jahr begehen wir den 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Viele der geplanten Feierlichkeiten haben wegen der CORONA-Krise nicht wie geplant stattgefunden oder sind komplett ausgefallen. Immerhin gab es zahlreiche Gedenkveranstaltungen in KZ-Gedenkstätten und das vielfache Gedenken einzelner Akteure an den Gedenk- und Erinnerungsorten an die Verbrechen des Naziregimes und seine Opfer in unserem Land, an Befreiung, Widerstand, selbstlose Hilfe und Verweigerung. Denken wir nur an den Widerstand der jüdischen Häftlinge in vielen Konzentrationslagern. Am 2. August 1943 war beispielsweise bis zu 800 Häftlingen bei einem Aufstand im Vernichtungslager Treblinka die Flucht gelungen. Dieser gelungene Aufstand zeugt neben anderen KZ-Aufständen vom Widerstandswillen der jüdischen Häftlinge.
75. Jahre nach der Befreiung vom Faschismus stellt sich erneut die Frage nach dem Sinn dieses Gedenkens. In der Erinnerungskultur unseres Landes ist sehr viel Positives passiert seit Bundespräsident Weizsäcker 1985 in Westdeutschland erstmals von Befreiung gesprochen hat. In der DDR hatten der Begriff der Befreiung und der Tag der Befreiung da bereits eine Jahrzehnte lange Tradition, auch wenn die Darstellung von Opfern und Widerstand gegen den Faschismus einige Lücken und Einseitigkeiten aufwies.
Wir meinen, dass der Sinn des Gedenkens an die Befreiung vom Faschismus nicht nur heute noch gegeben, sondern dringender denn je ist. Faschistische und rechtspopulistische Gruppierungen sind nicht nur in Deutschland, sondern europaweit auf dem Vormarsch. Diskriminierende Einstellungen gegen Ausländer, Migranten und Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und ethnischer Herkunft haben zugenommen.
Die Diskussion um die jeweils zeitlich und örtlich richtigen CORONA-Maßnahmen haben die Hemmschwelle für viele besorgte und verängstigte Bürgerinnen und Bürger weiter herabgesetzt, gemeinsam mit Nazis, Antisemiten und Verschwörungstheoretikern im Schulterschluss zu demonstrieren und deren Inhalte und Aktivitäten damit aufzuwerten. Gleichzeitig haben rechte Gewalttaten bis zum Mord nicht ab-, sondern zugenommen – mit dutzenden Opfern des NSU und rassistischen Morden in Halle und Hanau. Heute ist die antifaschistische Einheit der Demokraten dringender denn je zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Zugleich möchten wir mit dem 75. Jahrestag der Befreiung an die Ziele der alliierten Aufarbeitung des Faschismus vor 75 Jahren erinnern, wie sie sich in den Ergebnissen der Potsdamer Konferenz wiederfinden. Diese Ziele kann man auch in einer Ausstellung im Cecilienhof in Potsdam verfolgen, die ich sehr empfehlen kann. Die Ziele der Alliierten in Potsdam waren die Dezentralisierung Deutschlands zusammen mit einer Demonopolisierung der Wirtschaft. Ziele waren außerdem die Demilitarisierung, die Denazifizierung und die Demokratisierung Deutschlands.
Diese Ziele wurden teilweise durch die Abkehr von der Zielstellung der Zerschlagung der Rüstungs- und Kriegsmonopole und durch die Rehabilitierung der Nazis im Staatsapparat sowie durch die Nichtverfolgung vieler Kriegsverbrecher unterlaufen. Die Vision der Buchenwaldhäftlinge in ihrem Schwur nach der Befreiung, eine Welt des Friedens und der Freiheit zu errichten, ist bis heute nicht erfüllt. Kriege gehören auch im 21. Jahrhundert zum weltweiten Alltag und Freiheit gibt es vielerorts gar nicht – und nicht selten nur, wenn man sie sich leisten kann.
75 Jahre Befreiung vom Faschismus sollen uns aber auch daran erinnern, dass mit den von den Alliierten beschlossenen Kriegsverbrecherprozessen erstmals Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet wurden und diese Ahndung zum Maßstab der Rechtsprechung in vielen Ländern gemacht wurde – speziell auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der ist auch für Verbrechen verantwortlich, die außerhalb Europas begangen wurden. Wir müssen feststellen, dass dieser Forstschritt und die Glaubwürdigkeit bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen insbesondere durch das Verhalten der USA derzeit eher untergraben als befördert wird.
75 Jahre Befreiung vom Faschismus bedeutet auch der Beginn eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa, das bis heute Bestand hat. Mit der UNO hat ein System der Friedenssicherung in der Welt Einzug gehalten hat, nachdem der Völkerbund als folgenloser Debattierklub sträflich versagt hatte.
Es gilt heute mehr denn je, dieses System der kollektiven Sicherheit zu erhalten und zu verteidigen. Das System der Friedenssicherung kann ein Garant sein, um wirksam neuem Nationalismus und damit auch neuen Kriegsgefahren entgegenzuwirken. 75 Jahre Befreiung vom Faschismus bedeuten, das Frieden und Freiheit heute aktiv, partei- und konfessionsübergreifend verteidigt werden müssen – gegen Rassismus, gegen neuen Nationalismus, gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit.
In diesem Sinne wünsche ich uns ein aktives Jahr im Gedenken an die Befreiung vom Faschismus. Es geht darum, eine der zentralen Grundlagen unserer Demokratie zu bewahren und umzusetzen – wie der ehemalige Bundeskanzler Schröder den Schwur der Häftlinge von Buchenwald in einer Gedenkrede nannte.
Axel Holz, Bundessprecher VVN-BdA e.V.