Hannelore Rabe:
Auf dem Terrain des Neuen Friedhofes in Rostock befinden sich Gemeinschaftsanlagen und Einzelgräber, die an die Verfolgung und Ermordung von Menschen aus der Sowjetunion, aus Polen, der Tschechischen und Slowakischen Republik, aus Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich, Italien, Ungarn und an Opfer rassischer Verfolgung erinnern. Sie wurden Opfer des Nationalsozialismus, des 2. Weltkrieges – sie gehören zu den Opfern des Faschismus.
Im Alltagsbewusstsein der Rostocker ist darüber wenig bekannt. Da diese Gedenkstätten kaum beachtet werden, erscheinen sie verwahrlost. Der antifaschistische Widerstand und die Verfolgung von Menschen unterschiedlicher Nationalität und Religion dürfen aber nicht vergessen werden. Aber auch die Einzelgräber unterliegen dem Lauf der Zeit. Verwandte und Freunde der Opfer des Faschismus können die Anlage nicht mehr pflegen, die Gräber werden aufgegeben und nichts erinnert mehr an die Menschen, die sich gegen den aufkeimenden und realen Nationalsozialismus, gegen Krieg und Faschismus auflehnten, Familie, persönliches Glück, Freiheit und Gesundheit opferten.
So entstand die Idee, zur Ehrung all dieser Bürger auf dem Neuen Friedhof eine Stele oder eine Pieta aufzustellen. Doch damit wurden die Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) in Mecklenburg- Vorpommern /Basisgruppe Rostock mit der Frage konfrontiert, wie spätere Generationen damit umgehen sollen, wenn sie nichts wissen, über das Leben dieser Menschen. Sollen sie dort traditionell an bestimmten Tagen Kränze niederlegen und wieder nach Hause gehen, ohne darüber nachzudenken, wer hier und wofür geehrt wird?
Diese Überlegungen waren Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt, gemeinsam mit einer Studentengruppe des Sozialen Bildungswerkes (SOBI) Rostock zu recherchieren, eine Dokumentation anzulegen und in einer Broschüre über die Gedenkorte zu informieren.
Damit wurde die Idee für ein entsprechendes Kunstwerk jedoch nicht aufgegeben.
Auf dem Neuen Friedhof in Rostock befinden sich drei Gemeinschaftsanlagen:
Ein großes Gräberfeld, auf dem von 1941 bis 1945 vorwiegend KZ- Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beigesetzt wurden, deklarierten die Nazi- Oberen in Rostock als“ „Sonderfriedhof für Fremdrassische“. Die hier Beigesetzten kamen aus dem KZ- Außenlager von Ravensbrück in Barth, viele wurden aber auch direkt von den Heinkel- Werken in Marienehe, den Dornierwerken Warnemünde, den Bachmann-Werken Ribnitz und aus den Lagern „Sportpalast“ am Eingang zum Barnsdorfer Wald, aus den Lagern in Brinkmannsdorf, Dierkow, Kröpeliner Tor und weiteren angeliefert.
Nach bisherigem Kenntnisstand wurden hier auch, gemäß der bekannten rassentheoretischen Konstruktionen, zwangsweise Bürger beigesetzt, die der jüdischen Religion angehörten oder von den Nazis zu „Juden gemacht“ wurden. Einer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager konnten diese Jüdinnen und Juden nur entgehen, weil sie in so genannten „Mischehen“ lebten. Über ihre Biographie und ihre Verfolgung geben nur wenige erhaltene Dokumente Auskunft.
Bei älteren Rostockern ist der „Sonderfriedhof“ auch als „Russenfriedhof“ bekannt. Nach 1945 wurde dieser als „Ehrenfriedhof“ bezeichnet. Für die 172 Häftlinge aus Barth brachte man später am Krematorium eine Gedenktafel an.
Ein weiteres VdN- Gräberfeld wurde Ende der 50iger Jahre eingerichtet, das heutige UKa.
Bis Mitte der 60iger Jahre fanden hier Verfolgte des Nazi- Regimes ihre letzte Ruhe. Sie hatten die Haft in Zuchthäusern und Konzentrationslagern überlebt oder waren anderen physischen und psychischen Verfolgungen ausgesetzt.
Eine weitere große Gemeinschaftsanlage entstand 1967 mit der Bezeichnung „Ehrenhain der Sozialisten“. Auch hier finden wir auf den Gräbern und Ehrentafeln in der Mehrzahl die Namen der Menschen, die als Gegner des Nazi- Regimes verfolgt wurden.
In der Dokumentation und in der Broschüre wird auch Bezug auf die Biographien der Opfer genommen, die in Einzelgräbern beigesetzt wurden und damit ebenfalls dem Vergessen entrissen werden sollen.
Während der Forschungsarbeit stellte sich heraus, dass Daten und Fakten in den Archiven und Unterlagen lückenhaft sind. Es konnte also nur das Vorhandene übernommen und dokumentiert werden. Die Erschließung weiterer Quellen sollte künftigen Projekten vorbehalten sein.
Fehlende zeitgemäße Instandsetzung und fehlende Informationen behinderten bisher eine aktive Auseinandersetzung mit den Schicksalen der an diesen Orten bestatteten Menschen. Das Forschungsprojekt „ Gedenkstätten für Verfolgte des Naziregimes auf dem neuen Friedhof in Rostock“ hat zur Folge, dass die Gräberfelder wieder in den Blickpunkt auch der Friedhofsverwaltung gerückt sind, also gut gepflegt werden und dass die Informations-broschüre sowie ein Flyer als Wegweiser zu diesem Thema 2012 anlässlich des 100-Jährigen Bestehens des Neuen Friedhofes Rostock der Öffentlichkeit übergeben werden können.
Mit den Ergebnissen des Projektes wird auf der Grundlage neuer Erkenntnisse ein weiteres Denkmal für den antifaschistischen Widerstand in Rostock geschaffen. Jenseits einer unpersönlichen Anonymität kann der beigesetzten Opfer auch in Zukunft in angemessener und würdiger Weise gedacht werden.
Die Studentengruppe des Sozialen Bildungswerkes Rostock kommt zu der Schlussfolgerung: Die Spurensuche in Literatur und in den Archiven hat viele Fragen unbeantwortet gelassen, welche ohne die noch erhaltenen Grabplatten und –steine nicht einmal gestellt werden könnten. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der regionalen Geschichte des Nationalsozialismus dieser Zeit und ein aktives Erinnern an die Opfer muss sich auch daran messen lassen, wie eine Stadt mit ihren historischen Orten umgeht und ob es ihr gelingt, solche Orte wieder in das Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger zu rufen.
Ein Ort des Verweilens, des Gedenkens, des Lernens