Von Johanna Jawinsky
Zur Befreiung der Stadt Rostock am 1. Mai 1945 fanden mehrere Veranstaltungen statt.
Eine der Veranstaltungen, sie wurde von der Stadt Rostock ausgerichtet, war die Eröffnung einer Ausstellung zur Befreiung der Stadt Rostock am 8.Mai 2015. Dazu wurde, wie in der Presse dokumentiert, der beim Bau der Brücke am Mühlendamm gefundene Teil des Panzers, der beim Einrücken zerstörte worden war, in den Museumshof des Kunsthistorischen Museums gebracht.
Es sprachen im Museum der Oberbürgermeister, der Museumsdirektor sowie der 1. Botschaftsrat der Russischen Föderation aus Berlin sowie Natalja Jeske. Die Ausführungen waren dem Ereignis angemessen.
Im Vorfeld der Veranstaltung gab es jedoch eine nicht zu akzeptierende Diskussion. Es gäbe ganz neue Erkenntnisse und Dmitrewski wäre wohl gar nicht am 1. Mai nach Rostock gekommen, er wäre ja gar kein Panzerkommandant gewesen (was übrigens nie behauptet worden war – seiner Einheit waren jedoch Panzer unterstellt worden) usw.
Auf eine entsprechende Behauptung (siehe Kopie aus NNN) hatte sich Kurt Kaiser gemeldet und sich empört an die Redaktion der NNN gewandt.
Am 8. Mai wurde bei der o.g. Veranstaltung wurde ein Buch der Öffentlichkeit übergeben, das sehr interessante Details der Befreiung der Stadt Rostock enthält:
Eine Stimme aus dem Jahr 1945. Das Tagebuch des Panzersoldaten Iwan Panarin. Es ist eine Veröffentlichung des Kulturhistorischen Museums der Stadt Rostock
Natalja Jeske kommt das Verdienst zu, sich gründlich mit dem gefundene Bericht d es Panzersoldaten auseinandergesetzt zu haben. Sie ist sogar zu seiner Familie nach Tscheljabinsk gefahren, um die Echtheit des Tagebuches zu überprüfen. Aus den vorgefundene Aufzeichnungen hat sie ein lesenswertes Buch erarbeitet, das uns viel Neues über die Besetzung der Stadt und die ersten Tage danach vermittelt. Sie hat auch herausgefunden, dass seine Aufzeichnungen nicht immer taggleich erfolgten.
Um es vorwegzunehmen, keine seiner Aussagen widerspricht der Schilderung Dmitrewskis. Es ist einfach eine andere Sichtweise – die eines Panzerkommandanten, der sicher nicht bei den Stabsbesprechungen dabei war, aber aus unmittelbarem Erleben berichtete.
Leider ist dann Natalja Jeske nicht bei ihrem Stil der Widergabe von Ereignissen geblieben, sondern hat die Tat Dmitrewskis insofern diskriminiert, indem sie unterstellte, die Stadt brauchte zum 20. Jahrestag der Befreiung einen Helden und hat Dmitrewskli dazu gemacht. Ebenso hätte man eine Person gebraucht, die sich von deutscher antifaschistischer Seite verdient gemacht hat. Diese hätten sie in Karl Lübbe gefunden.
Jedoch wurde Karl Lübbe damals nicht aus dem Hut gezaubert. Im Gegenteil wunderte man sich in Veteranenkreisen, dass ein Arbeiter, der nicht der Widerstandsbewegung angehört hatte, diese Tat vollbracht hat.
Ich habe deswegen einen Brief an Frau Jeske geschrieben, den sie kurz beantwortet hat. Im folgenden gebe ich die entsprechenden Berichte wieder.
-
Kurt Kaiser – Antwort auf die Veröffentlichung in der NNN:
Bevor ich anfange über Semjon Michailowitsch zu schreiben, möchte ich noch auf Freunde aufmerksam machen, die Dmitrewski auch ziemlich genau kannten:
- Günter Brock, Usedomer Str., der 7 Jahre als ND-Korrespondent in Moskau wirkte und der enge Verbindung zu Semjon hatte, bis zu Besuchsmöglichkeit im „verbotenen Moskauer Stadtbezirk Chimki“ hatte, wo Dmitrewkis wohnten.
- Lilo Kossian, die ehemalige Direktorin der Gr. Stadtschule, die mit Dmitrewski und Karl Lübbe gemeinsam Schülerveranstaltungen durchführten. Mail:
- Heinz Plagemann, ehemaliger DSF-Bezirkssekretär, der auch gut in dieser Geschichte Bescheid weiß und sicherlich auch bei Aufklärung helfen würde. 0381 / 38 31 664 Mail:
Im Moskauer Hotel „Ostankino“ lernte ich am 22. Juni 1971 unseren Freund Semjon Michailowitsch Dmitrewski persönlich kennen und hörte ein Stück seiner Lebensgeschichte. Ich weiß, wenn ich ihn unseren Freund nenne, dass ich viele Rostocker Bürger damit einschließe und ihnen aus dem Herzen spreche. Ich habe damals für eine Broschüre recherchiert und ihn intensiv befragt und darüber folgendes in der Broschüre u.a. folgendes geschrieben:
>> ,,, 1400 Tage, 2000 Kilometer! Zeit und Weg von Leningrad bis Rostock. Ein harter, opfervoller, blutiger Weg bis zur Vernichtung des faschistischen Agressors.
Wie viele Geschichten müssten erzählt werden, wie viele Seiten beschrieben, um allein die 1400 Tage des Genosen Dmitrewski und der Genossen seiner Einheit im Großen Vaterländischen Krieg zu schildern. ….
Bei Tessin gab es noch einmal eine kurze Pause. Dmitrewski hatte seinen Melder nach frischem Wasser geschickt, der Verband auf seinem Oberschenkeldurchschuss war seit Tagen nicht gewechselt und völlig verschmutzt. Mit dem Melder kam eine deutsche Frau mit warmen Wasser und weißem Linnen, Dmitrewski war zuversichtlich. Morgen war der 1.Mai!
Morgen würde Rostock fallen.
Im Morgengrauen des 1. Mai ratterten 21 Panzer T34 mit dem aufgesessenen Bataillon Infanteristen in Richtung Rostock. ….
… Karl Lübbe hatte die Volkssturmmänner schon eine Zeitlang beobachtet. Sie verkabelten unter der Leitung eines SS-Führers Sprengstoffpakete auf der Brücke miteinander.
Beim Mühlendamm, einen Kilometer von der Petri-Brücke flussaufwärts, stieg eine grauschwarze Wolke empor. Die Druckwelle der Detonation bohrte schmerzhaft in die Ohren.
Lübbe starrte hinüber und dann wieder auf das Sprengkommando auf der Petri-Brücke. Die Haben den Mühlendamm gesprengt! Ich darf nicht länger warten, dachte er.
Der Offizier legte die Hand an die Pistolentasche, als er Lübbe auf sich zukommen sah. Der streckte die Hand vor und rief: „Halt! Befehl vom Blücherbunker! Die Brücke wird nicht gesprengt!“ Es gelang Lübbe, die Volkssturmmänner zu überreden und gegen den Willen des SS-Führers in die Stadt zurückzuschicken. Auch der zog ab, als Lübbe eindeutig in Richtung des Maschinengewehrs zeigte. …
Rostock wurde genommen. Das Bataillon Dmitrewski stieß über die Petri-Brücke durch die Stadt bis an den westlichen Stadtrand vor und nahm dem Feind jede weitere Möglichkeit, sich zu formieren. …
Fünfundzwanzig Jahre später begrüßten auf dem Rostocker Thälmannplatz Tausende Rostocker Gardekapitän Semjon Michailowitsch Dmitrewski. Viele drückten ihm die Hand. Hochrufe schallten über den Platz, als Genosse Dmitrewski den Werftarbeiter Karl Lübbe umarmte. <<
Resümee:
44 Jahre nach diesem Treffen mit Dmitrewski in Moskau, von dessen Inhalt ich hier teilweise widergegeben habe und eidesstattlich bestätigen kann, stelle ich fest, dass sowohl Dmitrewski als auch Lübbe den 1. Mai und nicht wie uns heute mancher „Historiker“ weismachen will, der 2. von Dmitrewkis Bataillon und der beigegebenen Panzer Rostock eingenommen haben. Gleiche Aussagen gibt es von anderen.
Was wird nun damit bezweckt anderes zu behaupten? Wenn ein Panzersoldat in seinem Tagebuch etwas anderes behauptet, steht hier doch nur Aussage gegen Aussage: die eines Tagebuches und hundertfach in Gesprächen, Freundschaftstreffen, Seminaren und Kundgebungen von Dmitrewski, Lübbe und anderen Rostocker Zeitzeugen gemachten Aussagen. Warum also Dmitrewski in Zweifel stellen? Was bezweckt der Autor und die dessen Aussagen verbreiten damit? Vielleicht noch einmal der DDR – dem „Unrechtstaat“ – einen Tritt gaben, alles in den Schmutz ziehen?
Ich möchte dem Autoren und seinen Interpreten noch einen Eintrag von Semjon und Nadja (die auch in der Roten Armee gekämpft hat) anlässlich ihres, auf Einladung des Oberbürgermeister erfolgten Besuches zum 50. Jahrestag der Befreiung, getätigten Eintrag in mein Gästebuch zur Kenntnis geben, der wohl auch das freundschaftliche Verhältnis zu uns bekundet:
(unwesentlich gekürzt)
Seit über 30 Jahren sind wir Freunde. Unsere Freundschaft wurde mehrmals durch Zeit und Leben geprüft. Wir lioeben Euch und freuen uns über jeden Brief und über jedes Treffen mit Euch. Am Tag der Bfreiung des deutschen Volkes vom Faschismus, zum 50. Jubiläum, das wir feiern, wünschen wir Euch alles Gute und Glauben daran, dass wir auch das 60.Jubiläum (mindesten) noch zusammen feiern werden.
Eure Naja und Semjon Dmitrewskije
Sehr geehrte Frau Jeske, Roggentin, 11.05.2015
ich habe das Buch „Eine Stimme aus dem Jahr 1945“ erworben und mit größtem Interesse gelesen.
Ich schätze ihre Forschungstätigkeit sehr. Ihre Forschungen zu den Kriegsgefangenenlagern sind mir gut bekannt.
Das vorliegende Buch betrachte ich als außerordentlich wertvoll. Insbesondere ihre genaue Recherche, die sie bis nach Tscheljabinsk führte. Frühere Bemühungen von uns, in Kontakt mit Angehörigen gefallener Rotarmisten zu kommen, sind leider gescheitert. In DDR-Zeiten war es von Seiten der Sowjet-Union nicht gern gesehen, Kontakte zu knüpfen. Auch unsere Anfragen von VVN-BdA Rostock vor wenigen Jahren bei der Botschaft in Berlin wurden nicht beantwortet.
Neuerdings hat sich dies wohl geändert, denn drei Personen aus Rostock – ich eingeschlossen – waren am 24. 4. 2015 zur Botschaft eingeladen als die Datenbank www.sowjetische-memoriale.de ins Internet gestellt wurde. (Wir hatten uns um Bestattete auf dem Neuen Friedhof und auf dem Puschkinplatz gekümmert und konnten weitere Namen ausfindig machen)
Leider konnten wir keinen Kontakt mit den Angehörigen des auf dem Puschkinplatz 2012 beigesetzten Soldaten aufnehmen, um ein Interview anzufertigen.
Unser Bestreben war von Anfang an, hinter den Namen der Gefallenen die Menschen sichtbar zu machen – sie aus der Anonymität zu holen.
Den Befreiern ein Gesicht zu geben, war auch der Grund, warum wir froh waren, mit Dmitrewski einen Menschen kennenzulernen, der bei der Befreiung der Stadt dabei war. Sicher war er nicht der einzige Befreier und sicher gibt es ein paar offene Fragen – z.B. schon die Neubrandenburger Straße bzw. Tessiner Straße als Einmarschstraße betreffend.
Das sind aber, wenn auch wichtige Details, nicht die Hauptfragen. Ich habe die allergrößte Hochachtung vor jedem, der sein Leben einsetzte. Und Dmitrewskis Truppe hat den ganzen weiten Weg von über 2000 Kilometern bis nach Rostock zurückgelegt!
Daher finde ich es moralisch nicht gerechtfertigt, Dmitrewski in ihrem Artikel wenig achtungsvoll zu behandeln. Warum soll sein Bericht, der nicht erst Jahrzehnte nach der Befreiung angefertigt worden ist, weniger Wahrheitsgehalt enthalten als andere? Auch wurde in ihm bereits der Name Kriwenzew genannt.
Es gäbe sicher noch Vieles zu klären. Ich war einige Zeit Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre mit der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung im Bezirk Rostock befasst. Daher erhielt ich wohl den Auftrag, einen sowjetischen Offizier zu begleiten, der sich als Befreier der Stadt Rostock vorstellte. Er hatte berichtet, er sei mit seinem Panzer vor Rostock wegen einer Reparatur liegen geblieben und dann nach Rostock gefahren, wobei er ein Gefangenenlager befreite. Wir sollten nun ausfindig machen, wo sich das Lager befand. Wir fuhren mit einem PKW nach Marienehe, weil sich dort Lager der Heinkelwerke befunden hatten.
Marienehe hatte sich damals schon stark verändert und wir konnten nichts feststellen.
Damals wusste ich leider noch nichts von den Lagern in Brinkmansdorf, Gehlsdorf und an anderen Stellen. Es ist gut möglich, dass er auf ganz anderem Weg nach Rostock gekommen ist und tatsächlich ein Lager befreit hat. Ich erinnere mich noch deutlich an seine Uniform, weil ich vorher diese in blau/grau gehaltene noch nie gesehen hatte. Ich weiß leider auch nicht, ob es über diesen Besuch Aufzeichnungen im Archiv der ehem. Bezirksleitung gibt.
Auch finde ich ihre Bemerkung nicht sachgemäß, dass mit Lübbe, p l ö t z l i c h ein Mann ausfindig gemacht werden musste. Es war eher das Gegenteil der Fall. Es verwunderte damals, dass ein Arbeiter, der nicht der Rostocker Widerstandsbewegung angehört hatte, diese Tat vollbrachte. Da aber ein weiterer Zeuge das bestätigte, wurde nicht mehr daran gezweifelt.
Schließlich gefällt es mir nicht, dass pauschal von Tausenden Vergewaltigten die Rede ist.
Es hat sicherlich und nachweislich Vergewaltigungen gegeben, aber Tausende in Rostock ?
Also es gibt noch allerhand Klärungsbedarf.
Es wäre verdienstvoll, wenn mit Ihrer Hilfe noch weitere Angehörige oder Freunde der auf dem Puschkinplatz Bestatten ausfindig gemacht werden könnten. (Wir wissen zur Zeit nur, dass Dmitrewski den auf dem Puschkinplatz unter dem Datum 1. Mai 1945 beigesetzten Starschina Antropow Nikolai Prochorowitsch kannte und wohl mit ihm befreundet war.)
Beide Angaben betr. des Offiziers, der sicher auch ein Befreier der Stadt Rostock war und die Einstellung der Rostocker Veteranen zu Lübbe werde ich gern schriftlich bekunden.
Außerdem haben sich bei mir Rostocker gemeldet, die Dmitrewski persönlich kannten und ihn als einen bescheidenen sympathischen Menschen kennen gelernt haben und für die jetzigen Darstellensweisen kein Verständnis aufbringen.
Mit freundlichen Grüßen
Johanna Jawinsky
-
Der Auslöser der Diskussion Artikel in der NNN vor dem 70. Jahrestag
-
Johanna Jawinsky Schlußbemerkung
Es wäre verdienstvoll, wenn sich Historiker weiterhin mit den Ereignissen zur Befreiung der Stadt Rostock befassen würden. So gibt es zum Beispiel unterschiedliche Aussagen oder Meinungen darüber , was und wer den Munitionszug auf den Gleisen bei Kassebohm zur Explosion brachte, wo die acht Getöteten am Mühlendamm zuerst und später bestattet worden sind usw.
Am wichtigsten aber wäre, Näheres über die Toten am Mühlendamm und weitere auf dem Puschkinplatz Bestattete zu erfahren.