Unser Kamerad Jürgen Weise hat in seiner Rede am OdF- Gedenktag interessante und aufschlussreiche Beiträge gebracht und zu Schlussfolgerungen auch für uns aufgerufen. Wir sollten uns damit gerade auch in die Vorbereitung auf den 800 Jahrestag der Gründung Rostocks einmischen.
Das Jahr 2016 ist in mindestens dreifacher Hinsicht für Rostock erinnerungswert:
- Am 5. Mai 1946, also vor 70 Jahren, wurde das OdF- Denkmal am Rosengarten eingeweiht, seit dieser Zeit jährlicher Treffpunkt von Antifaschisten.
- Am 27. August 1936, vor 80 Jahren, bombardierten Heinkel – Bomber der deutschen Luftwaffe Madrid, ein gutes halbes Jahr später am 26. April wurde die baskische Stadt Guernika vollständig zerstört.
- Am 4. September 2016, also vor einer Woche, fanden in M-V Landtagswahlen statt, die nicht die erwarteten und für uns erwünschten Ergebnisse hatten – es gab eine politische Verschiebung nach rechts.
Ausgehend von diesem letzten Ereignis sind die Ursachen dieser Entwicklung zu untersuchen und zu analysieren. Auch wir müssen überlegen, was wir zu tun haben, damit gesellschaftlich Vergangenes nicht wieder neues Unheil bringen kann und wie wir unseren Beitrag zur Bewahrung des antifaschistischen Vermächtnisses gegen Krieg und Faschismus wirksamer machen können und müssen.
Das soll an zwei aktuellen Beispielen und Vorschlägen präzisiert werden.
Am 27.August 2016 veröffentlichte der „Warnow Kurier“ einen kleinen Artikel zur Geschichte des Ständehauses, in dem es am Ende hieß: „Nach dem ersten Weltkrieg … diente das Ständehaus nach1920 vorwiegend als Verwaltungsgebäude. Nach der Gründung der DDR quartierte sich zunächst die Volkspolizei und bis zur Wende die Volksmarine ein. Seit dem 1.Juli1992 ist das Ständehaus Sitz des Ober- landesgerichts Rostock“.
Kein Wort über die „Verwaltungstätigkeit“ im Hause in den 12 Jahren der Nazizeit.
Das Ständehaus war in diesen Jahren Sitz des „Hanseatischen Oberlandesgerichtes Hamburg“ und Schauplatz sogenannter „Sondergerichte“ der Hitlerzeit.
In 21 Monaten zwischen dem 19.01.1934 und dem 10.10.1935 fanden in Zuständig- keit des „Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg“ in Mecklenburg 44 „Hoch- verratsprozesse“ gegen Antifaschisten statt, vorwiegend in Schwerin und Rostock und hier wiederum im Ständehaus – nur wenige Meter neben diesem Denkmal.
1936 / 37 gab es neue Verhaftungs – und Prozesswellen, u.a. gegen Bibelforscher, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und „Judenfreunde“.
1939 -1945 gab es über 100 weitere Gerichtsverfahren gegen Einheimische und „Ost- bzw. Fremdarbeiter“ mit Terrorurteilen. Die Prozesse in Rostock fanden vorwiegend im Ständehaus bzw. unter dessen Regie statt.
Das heißt, von den Opfern, deren wir heute hier am OdF-Denkmal gedenken, waren auch die, die hier nebenan verurteilt wurden.
Zu DDR – Zeiten ( da war das Ständehaus als „Haus der Armee“ übrigens ein kultu-relles Zentrum der Stadt und in der Blütezeit des Volkstheaters während der Aera Perten Spielort für das „Theater für Prozesse“ und die Aufführung der „Flüchtlings- gespräche“ von Brecht mit Peter Bause als „Ziffel“ sorgten ebenso für ein volles Haus, wie die jährlichen Chorsingen und Konzerte im Treppenhaus) hing im Foyer am Eingang eine Tafel zum Gedenken an die in diesem Hause verurteilten Hitler – Gegner und Antifaschisten.
Diese Tafel wurde mit Einzug der neuen Gerichtsherren nach 1990 entfernt und es ist uns bis heute nicht gelungen, sie zurückzuholen. Die schäbigste Begründung für die Ablehnung seitens der Verwaltung hieß sinngemäß, es seien ja wohl vorwiegend Kommunisten gewesen, die da verurteilt wurden.
In der Zwischenzeit sind über 20 Jahre vergangen und bis in alle Ministerien, Chef- Etagen von Konzernen und Institutionen ist es üblich geworden, mit der „Aufarbeitung“ der Geschichte in den Jahren des „Dritten Reiches“ zu beginnen.
Vorschlag:
Die Teilnehmer der heutigen Kundgebung beauftragen den Vorstand der BO Rostock von VVN-BdA MV und besonders die Mitglieder unserer Organisation in entsprechenden gesellschaftlichen und Verwaltungsfunktionen der Stadt, alles zu unternehmen, damit seitens der Stadt bzw.in Abhängigkeit von der Zuständigkeit auch des Landes dafür gesorgt wird, dass auch das Oberlandesgericht Rostock die dunkle Vergangenheit des Hauses aufarbeitet und die Gedenktafel wieder angebracht wird – und das alles möglichst noch vor den nächsten Landtagswahlen.
Zum zweiten Beispiel:
Am 16. Februar 1936 siegte in Spanien bei den Parlamentswahlen nach jahrelangen sozialen Unruhen und Niederschlagung von Arbeiteraufständen eine „ Volksfront“ linker demokratischer Kräfte. Die von ihr gebildete Regierung leitete unverzüglich soziale Reformen ein – gegen den Widerstand reaktionärer Kräfte, die ein halbes Jahr später, am 16. / 17. Juli 1936, unter Führung von General Franco gegen die Regierung putschen ließen.
Als der Putsch vor Madrid, Valencia und Barcelona in Zentralspanien und Katalonien ins Stoppen kam, holten Franco und seine Generäle die deutschen und italienischen Faschisten zu intensiver Waffenhilfe. Am 27.August 1936 bombardierte die deutsche Luftwaffe Madrid; wenig später wurde Guernika, das Alleppo 1936, zerstört.
Ein Hauptakteur und -verantwortlicher dieser Aktivitäten war der Rüstungsmagnat und Hitlerfan Ernst Heinkel. Sein „NS – Musterbetrieb“, die „Ernst – Heinkel – Flug- zeugwerke AG“ in Rostock produzierten ausschließlich für Krieg und Zerstörung. (Heinkel beschäftigte 15000 Arbeiter und Angestellte; in den Kriegsjahren waren davon rund 10000 „Fremdarbeiter“ und KZ-Häftlinge. Viele der dabei „zu Tode Ge- kommenen“ wurden u.a. in Barth beigesetzt bzw. im Rostocker Krematorium verbrannt).
In der „Heinkelwerkzeitung“ Nr.7 vom Juli 1939 läßt Heinkel rühmen:
„An den Erfolgen der `Legion Condor´ hat die Luftwaffe von Anfang an einen be – sonders starken Anteil gehabt. Sie konnten vielfältig an allen Fronten des spanischen Kriegsschauplatzes entscheidend eingreifen und ihre überlegene Schlagkraft bewei- sen.
Von unseren Heinkel – Baumeistern sind in Spanien eingesetzt worden:
Der Landaufklärer He 45, der Nahaufklärer He 46, Jagdeinsitzer He 51 L, Seemehrzweckflugzeug He 59, Seeaufklärer He 60; Fernerkunder He 70, der Bomber He 111 und der Jagdeinsitzer He 112.“
Obwohl die Hansestadt und ihre Bewohner für diese „erfolgreichen Einsätze“ spätestens ab dem Frühjahr 1942 bitter bezahlen mußten und obwohl alle die oben aufgeführten Fakten bekannt sind, gibt es in Rostock (und sicher nicht nur hier) Kreise, die in Heinkel „nur“ einen erfolgreichen Unternehmer und genialen Konstruk- teur sehen wollen und ihm am liebsten ein Denkmal setzen möchten; z.B mit dem Relikt der sogenannten „Heinkelmauer“ in der Lübecker Str. in Rostock.
Es ist diesen Kreisen gelungen, die genannten Mauerreste unter Denkmalsschutz stellen zu lassen mit der Begründung, es handele sich ein einzigartiges Beispiel von Industriearchitektur in Rostock – obwohl z.B. nur wenige Meter weiter in der Hamburger Strasse mit der vorbildlich sanierten ehemaligen Anker – Spirituosen –Fabrik ein doch ziemlich unbelastetes Beispiel der Verbindung von Backstein – und Industriearchitektur zu finden ist.
Vorschlag:
Sollten, wie vorgesehen, die Reste der „Heinkelmauer“ in die geplante Neubebauung des „Werftdreiecks“ mit einbezogen werden, dann sollte sich unsere Organisation im Zusammenwirken mit Gleichgesinnten und der Stadt darum bemühen, dass auch dort an dieser Wand eine entsprechende Gedenktafel angebracht wird – der zitierte Text aus der „Heinkelwerkzeitung“ könnte dafür ohne größere Kommentare verwen- det werden.
Zum Abschluß noch eine weitere Überlegung.
Der 2. Septembersonntag im Jahr hat eine über siebzigjährige Tradition. Er wurde erstmalig als Gedenktag für die Opfer des Faschismus 1945 in Berlin von der damals noch Gesamtberliner Stadtverwaltung im September im westberliner Neuköllner Sportstadion organisisiert.
Das Stadion wurde eigens dazu in „Werner – Seelenbinder- Stadion“ umbenannt – zur Erinnerung an den noch 1944 von den Nazis hingerichteten Arbeitersportler.
Auf einer Interzonenkonferenz 1947.wurde beschlossen, den 2. Septembersonntag einheitlich in allen 4 Besatzungszonen Deutschlands als Gedenktag für die Opfer des Faschismus zu begehen. Von der „Internationalen Organisation der Widerstands- kämpfer“ FIR wurde er zum internationalen Gedenktag erklärt.
Mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark in den Westzonen und Westberlin und der damit vollzogenen Spaltung Deutschlands geriet 1948 auch dieser Gedenktag zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Im östlichen Teil Deutschlands und der späteren DDR wurde an der antifaschistischen Tradition des Gedenkens am 2. Septembersonntag festgehalten; in der BRD wurde dieser Tag in den fünfziger Jahren offiziell durch den „Volkstrauertag“ abgelöst, an dem undifferen-ziert an die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ gedacht werden soll.
!993 schließlich wurde der 2. September offiziell zum „Tag des offenen Denkmals“ deklariert – man kann spekulieren, ob aus „Unwissenheit“ oder absichtlich.
Zur gleichen Zeit, an dem heute, am 2.Septembersonntag 2016, unsere Kundgebung am Ehrenmal am Rosengarten stattfindet; eröffnet nicht weit von hier in der HMT die Stadt den diesjährigen „Tag des offenen Denkmals“.
Vorschlag :
Warum sollte es künftig nicht möglich sein angesichts der beängstigenden gesellschaftlichen Entwicklung im Lande, den „Tag des offenen Denkmals“ mit einem Gedenken vor diesem Denkmal hier zu beginnen – ein offeneres Denkmal gibt es wohl kaum.
Wir sollten uns darum bemühen.
PS: Quellen zu den oben gemachten Angaben und Ausführungen sind:
Karl Heinz Jahnke : „Sie dürfen nicht vergessen werden!“ , BS-Verlag / Ingo Koch Verlag, Rostock 2005, ISBN 3-89954-143-X
Gerhard Lau: „Begegnung mit Ernst Heinkel“; Verlag Redieck & Schade GmbH Rostock / Mecklenburger BLITZ Vertag und Werbeagentur GmbH & CO, KG; ISBN 978-3-934116-77-1
Hans Coppi, Nicole Warmhold: „Der zweite Sonntag im Dezember“, Eine Publikation von VVN-BdA. ISBN – 10: 3-00-019609-9; ISBN – 13: 978-3-00-019609-6