Gedanken zu einem Denkmal
Vor 70 Jahren, am 5. Mai 1946, wurde in Rostock als einer der ersten größeren Städte Deutschlands nach dem Ende des Krieges, am Rosengarten ein Denkmal „Für die Opfer des Faschismus“ eingeweiht. Das geschah nicht auf Anordnung von „oben“, sondern auf Forderung und Initiative des OdF-Ausschusses der Stadt. Auf Anordnung der Alliierten waren in allen Besatzungszonen Deutschlands bei den örtlichen Behörden Ausschüsse für die Opfer des Faschismus(OdF) als Vertretung der Opfer und Verfolgten des Naziregimes, die überlebt hatten, zu bilden, meist angesiedelt bei den Sozialämtern. In Rostock war der Ausschuß eine „Dienststelle des Oberbürgermeisters“. Leiter des Rostocker Ausschusses war Kurt Gramm, der, als Jude verfolgt, die Naziherrschaft überlebte. Entworfen wurde das Denkmal vom Architekten Hans Stridde, dessen jüdische Ehefrau ebenfalls Opfer der Nürnberger Rassengesetzgebung der Nazis war.
Das Denkmal war Symbol für den Beginn der erforderlichen Auseinandersetzungen mit der Nazizeit und rückte das Schicksal der Opfer des Naziregimes; aber auch den Widerstand gegen den Faschismus in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Bis 1989 war der Platz des Denkmals für viele Rostocker der zentrale Platz für dieses Gedenken; besonders am 2. Septembersonntag des Jahres, dem „Tag der Opfer des Faschismus“. Dieser Tag war der erste gesamtdeutsche Gedenktag, erstmalig begangen im September 1945 im damals noch ungeteilten Berlin. Organisiert wurde er vom noch Gesamtberliner Magistrat im Sportstadion Berlin – Neukölln, das eigens zu diesem Anlass nach dem Berliner Arbeitersportler und 1944 hingerichteten Antifaschisten Werner Seelenbinder umbenannt wurde. Träger des ODF-Tages wurde die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN), die bis 1948 in allen Besatzungszonen Landes- und Kreisvereinigungen bildete. 1947 beschloß die gesamtdeutsche Interzonenkonferenz der VVN, diesen Tag jährlich am 2. Septembersonntag zu begehen. Dieser antifaschistische Konsens wurde selbst ein Opfer des beginnenden „Kalten Krieges“ und zerbrach endgültig mit den Gründungen zweier deutscher Staaten 1949. Die VVN in der alten BRD wurde verboten und antifaschistische Aktivitäten wurden kriminalisiert. Erst 1996(!) ordnete ein damaliger Bundepräsident an, den 27. Januar, den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, zum offiziellen Gedenktag für die “Opfer des Nationalsozialismus“ zu machen.
In Rostock bemühten sich nach 1990 vor allem die „Interessenvertretung der Verfolgten des Naziregimes“ (IVVdN) und der „Bund der Antifaschisten“ (BdA) – heute zusammengeschlossen in der Organisation VVN – BdA – gemeinsam mit vielen Anderen für die Weiterführung des antifaschistischen Gedenkens und gegen das Vergessen. In dieser Zeit fielen abfällige Bemerkungen über einen „verordneten Antifaschismus“, den es in der DDR gegeben hätte. Ich halte solche Formulierungen für sehr dümmlich. Was ging und geht in den Köpfen von Menschen vor, die meinen, sie hätten den Antifaschismus als „verordnet“ gefühlt ? Abgesehen davon, dass es Verordnungen und Beauflagungen der alliierten Besatzungsmächte zum Umgang mit dem Naziungeist und dessen Überresten tatsächlich gab und auch solche Dokumente, wie der vielzitierte „Schwur von Buchenwald“ Erwartungen und Anforderungen stellten : Denjenigen, die die Naziherrschaft in Lagern, Zuchthäusern oder als Zwangsarbeiter überlebten, denen mußte Antifaschismus nicht verordnet werden, sie haben ihn gelebt. Und die meisten von denen, die vor den materiellen und geistigen Trümmern dieses Regimes standen, waren froh, neuen Halt in und Wegweiser aus diesem Chaos zu finden, allen voran die jungen Leute. Wir wußten nur eines: „Das neue Leben muß anders werden“, wie es Louis Fürnberg gedichtet hat und wir es gesungen haben – freiwillig und aus Überzeugung. Der deutsche Faschismus freilich, der mußte nicht „verordnet“ werden. Der hatte und hat seine tiefen Wurzeln im „alldeutschen“ und „großdeutschen“ Chauvinismus mit seinen Theorien vom „Deutschland, Deutschland, über Alles in der Welt“, vom „Volk ohne Raum“ und „Heim ins Reich“, vom „Deutschtum im Ausland“ und „Nach Ostland will wi gahn“ und dem Weitermarschieren, „bis Alles in Scherben fällt“. Und dieser verfluchte deutsche Faschismus hatte und hat seine Wurzeln in einer unmenschlichen Rassentheorie, die einteilt in Angehörige der „arischen“ oder „nordischen“ „Herrenrasse“ und in „slawische“ oder „jüdische“ bzw. „jüdisch-bolschewistische Untermenschen“; einteilt in „wertes“ und „unwertes“ Leben. Letzteres war zu vernichten – und das wurde nicht nur propagiert sondern auch praktiziert – industriell organisiert.
Wie kann man angesichts dessen Antifaschismus nicht verinnerlichen, sondern als „verordnet“ fühlen ?
Wahr ist – und aber auch gleichzeitig anfechtbar – dass der Antifaschismus in der DDR mit den Jahren sehr eingeengt wurde auf den Widerstand der Antifaschisten aus der Arbeiterbewegung. Dafür gab es sicher Gründe. Zum einen waren diejenigen, die auf der anderen Seite der Klassengesellschaft standen und an Krieg, Rüstung, Eroberungen und Ausbeutung fremder Länder und Völker verdienten oder verdienen wollten, die, welche den Aufstieg der Nazis – wenn nicht gar ermöglicht – aber nachweislich zielgerichtet gefördert haben. Zum anderen ist ebenso nachweisbar, dass die Zahl der Widerstandskämpfer der Arbeiterklasse – ich betone, dieser Widerstandkämpfer, nicht die aller Opfer –, die dem Naziterror zum Opfer fielen, am größten war. An sie und ihren Kampf soll auch weiterhin erinnert werden, wie z. B. in diesem Jahr an Ernst Thälmann, der am 16. April vor 130 Jahren geboren wurde und unter den Bedingungen seiner Zeit gegen den Faschismus kämpfte und Vielen als Sinnbild des Widerstandes Mut und Kraft gab. Wir gedenken anläßlich des 8o.Jahrrstages des Beginns des Bürgerkrieges im Juli 1936 der Antifaschisten, die in Spanien gegen den Faschismus – auch gegen den deutschen – kämpften und ihr Leben ließen. Der Gedenkstein Hans Beimlers im Rostocker Überseehafen erinnert auch heute noch daran und soll es auch weiter tun. Keiner von all denen soll vergessen werden.
Heute bringt eine neue gefährliche rechtsradikale Entwicklung weltweit schon wieder Menschen massenhaft Krieg, Tod, Flucht und Vertreibung, soziale Not und Verelendung.- aus politischen, rassistischen und auch aus Profitgründen und alle Menschen können Opfer werden, wenn wir nicht wachsam sind, wie Julius Fucik dazu aufrief.. Deshalb ist es erforderlich, aller Opfer zu gedenken und uns an ihr Schicksal zu erinnern. Wir dürfen aber auch heute nicht nachzulassen, ihr Vermächtnis zu erfüllen und so Viele wie möglich gegen Gefahren und Unheil zu mobilisieren – Widerstand, das lehrt die Geschichte, ist möglich, muß aber auch organisiert werden. Und noch etwas wird uns gelehrt: nicht nur die Opfer nicht vergessen, sondern auch die Täter nicht – und das nicht erst 7o Jahre später, sondern heute schon.
Vor einiger Zeit meinte ein Journalist in einer großen Tageszeitung, das Gegenteil von Faschismus sei nicht Antifaschismus, sondern funktionierende Demokratie. Mir klingt da der rheinische Singsang-Tonfall eines gewissen Goebbels in den Ohren: „Wir werden die Herren Demokraten diesmal mit ihren eigenen Waffen schlagen und mit Hilfe ihrer Demokratie ganz legal an die Macht kommen“ – was dann ja auch mit großen Mehrheiten bei den Reichstagswahlen 1932 / 33 geschah. Die jüngsten Landtagswahlergebnisse weisen da erschreckende Spuren auf. Demokratie – ja; aber nicht als Sprungbrett für die, die sie abschaffen werden, wenn sie die Macht dazu haben – ein „Blick nach Polen“ sollte uns aufrütteln, mit allen Mitteln und mit allen demokratischen Kräften sich mit solchen Antidemokraten auseinanderzusetzen. Und in diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Flüchtlingsproblematik: nicht diejenigen sind zu bekämpfen, die aus Not und Verzweiflung und aus Angst vor Verfolgung ihre Heimat verlassen und in eine völlig ungewisse Zukunft fliehen, bekämpft werden müssen die Ursachen, die zu solchen Verzweiflungsaktionen führen – und die Verursacher dazu !
In diesem Sinne sollten wir den 70. Jahrestag unseres Denkmals für die Opfer des Faschismus begehen – ob nun am 5. Mai selbst oder, wie in den Jahren zuvor, im Anschluß an die Gedenk- veranstaltung zum Tag der Befreiung am Puschkinplatz am 8. Mai.
(Beitrag wurde geschrieben für die Monatszeitung „Klartext“, PdL Rostock, Ausgabe April 2016)
Jürgen Weise