Reisebericht von Jürgen Weise, VVN-BdA Rostock: 80 Jahre „Altonaer Blutsonntag“ – 80 Jahre antifaschistischer Widerstand. Unterdieser Losung erinnerte der Landesverband Hamburg der VVN – BdA am 17. Juli 2012 mit einem szenischen Stadtteilrundgang an die Ereignisse vor 80 Jahren, die unter dem Namen „Altonaer Blutsonntag“ in die Geschichte eingingen
Unmittelbar vor den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 organisierten die Nazis mit behördlicher Genehmigung eine großflächige Provokation im damals noch preußischen Altona. Über 7000 SA-Leute, denen die Polizei den Weg frei knüppelte, zogen durch die Straßen der Arbeiterviertel – die Schreckensbilanz: 18 Tote und über 80 Schwerverletzte und unter der nachfolgenden Naziherrschaft eine Serie von Prozessen vor Sondergerichten mit weiteren Opfern von Justizmorden.
Die Reichsregierung instrumentalisierte das Geschehen zum „Preußenschlag“ und ließ am 20.Juli 1932 Preußens sozialdemokratische Landesregierung absetzen – ein erster großer Schritt für die Machtübergabe an die Nazis. Die beeindruckende Gedenkveranstaltung in diesem Jahr dauerte mehrere Stunden und über 300 Menschen nahmen an ihr teil, darunter eine kleine Delegation der VVN – BdA Rostock und Freunden.
Wir sind im wesentlichen aus 3 Gründen nach Hamburg gefahren: Zum Ersten wollten wir der Opfer gedenken; sowohl derer, die unschuldig an diesem Tag vor 80 Jahren ums Leben kamen, als auch derer, die Opfer der nachfolgenden Mordprozesse wurden; zu ihnen gehörten August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und der noch nicht zwanzigjährige Bruno Tesch, die als erste offizielle Justiz-Opfer der Naziherrschaft am 1. August 1933 mit dem Handbeil im Hof des Altonaer Amtsgerichts enthauptet wurden. Zum Zweiten wollten wir uns mit einbringen in die vielen Proteste gegen die zunehmenden Umtriebe, Provokationen, Gewalttaten und Verbrechen heutiger Nazis und ihrer Gesinnungsfreunde, gegen Neofaschismus, Rassismus, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit – viele Ähnlichkeiten mit den damaligen Ereignissen sind doch alles andere als zufällig. Zum Dritten aber wollten wir Solidarität üben mit den Hamburger Antifaschisten und ihrem jahrzehntelangen Kampf um die Rehabilitierung dieser Opfer des Faschismus – der bis heute noch nicht zu Ende ist.
Es dauerte über 60 Jahre, bis 1992 die ersten Terrorurteile endlich aufgehoben und die Opfer rehabilitiert wurden – bis heute warten noch zu Unrecht verurteilte Antifaschisten auf Rehabilitation und Wiedergutmachun. Und warum ist das so? Dazu schrieb der kritische Verfassungsrichter Martin Hirsch 1987 : „Mit unerschütterlichem gutem Gewissen schlüpften die meisten Juristen von einem Tag auf den anderen aus den Nazihemden wie Fußballer beim Trikotwechsel in der Halbzeitpause … Furchtbare Juristen sind das Ende der Rechts gewesen und haben auch den Beginn der Demokratie bestimmt.“ Dieselben Justizleute, die nach 1945 mit der Untersuchung und Aufklärung der Ereignisse um den 17.Juli 1932 beauftragt wurden, waren die gleichen, die als Ankläger und Richter im Mai 1933 auftraten. Wir wissen heute einmal mehr, dass diese Verhältnisse nicht nur in der bundesdeutschen Justiz herrschten, sondern in fast allen Bereichen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft der Alt-BRD. Es sei erlaubt, darauf hinzuweisen, dass gerade das mit einer der Hauptgründe für die Schaffung der DDR war und warum sich Millionen ihrer Bürger für diesen Staat aufopferungsvoll engagiert haben: Nie wieder sollten Faschisten und ihre Hintermänner Macht über unser Leben erhalten – nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus sollten je die Politik bestimmen.
In sechs Monaten wird des 80.Jahrestages gedacht, an dem die Nazi-Herrschaft über Deutschland begann und in einem Jahr am 1. August ist der 80.Jahrestag der Ermordung der ersten vier Opfer des Altonaer Blutsonntags – wir dürfen angesichts dieser Tage und vieler Ereignisse der heutigen Zeit nicht vergessen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Bittere Ironie der Geschichte, die auch nicht vergessen werden sollte: Der damalige sozialdemokratische Polizeipräsident von Altona, Eggerstedt, der trotz vieler Warnungen den Nazi-Aufmarsch am 17. Juli 1932 ausdrücklich genehmigte und ermöglichte und den Altonaern empfahl, wie er an diesem Tag Urlaub zu machen und ins Grüne zu fahren, wurde nur wenig später von den Nazis ins KZ Esterwege gebracht und dort viehisch zu Tode gefoltert.